Zum Tod meines Freundes Dr. Wolfgang Puwalla

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Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluß der Welt!

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Das sind die beiden letzten Zeilen des Abendlieds von Gottfried Keller, das Wolfgang Puwalla als seinen Beitrag zu einer gemeinsamen Geburtstagsfeier von 5 Mitgliedern der Werkgemeinschaft im Jahr 2021 mitgebracht hatte.

Wie treffend! Ich hab ihn immer auf der Suche nach dem Überfluss der Welt erlebt.
Das gilt für viele Lebensbereiche, auch für die Musik, und er hat mir oft erzählt, dass er bei der ersten Veranstaltung der Werkgemeinschaft, die er besucht hat, das Gefühl hatte, angekommen zu sein: „Das war, was ich schon immer wollte!“

Danach war er regelmäßiger Besucher der Wieswochen, aber auch in St. Thomas, noch im vergangenen Jahr. Und diese Besuche hatten Auswirkungen: Er wollte das, was er dort erlebt hatte, weitergeben und hat in Münster einen kleinen Chor mit dem Namen „O primavera“ gegründet. Da alle Beteiligten musikalische Laien waren, wurde Wolfgang in die Leitungsrolle gedrängt, einfach weil er Klavier spielen konnte. Er hat dann - wiederum über die Werkgemeinschaft - viel über Chormusik und Dirigieren gelernt und konnte es zu Hause ausprobieren. Insofern hat Wolfgang das in Praxis umgesetzt, was von Anfang an Zielsetzung der Werkgemeinschaft war: dass über Musik die Kultur in Deutschland wieder wächst.

Als er dann als Leiter des Bundesvermögensamtes nach Potsdam zog, gab es eine erneute Chorgründung: Der Chor International Potsdam. Eingeladen waren SängerInnen aus aller Herren Länder um gemeinsam internationale Literatur zu singen. Damit hat Wolfgang die Idee der kulturellen Entwicklung in Deutschland erweitert auf die kulturelle Begegnung verschiedener Länder. Das war eine Integrationsleistung, lange bevor dieser Begriff in die Politik kam. Die Gründung war 1995 und er hat ihn bis 2016 geleitet. Da ich diesen Chor auf verschiedene Weise begleitet habe, konnte ich seine große Entwicklung mitverfolgen, sowohl in sozialer als auch in musikalischer Hinsicht. Der Chor lebt heute noch und hat ausgerechnet an seinem Todestag in Potsdam ein Konzert gegeben…

Über dieses große musikalische Engagement hinaus hat sich Wolfgang Puwalla immer mehr mit der Werkgemeinschaft und ihren Zielen identifiziert. Lange Nächte haben wir über Wohl und Wehe dieses Vereins diskutiert. In der Zeit der Finanzkrise gehörte er zu der Gruppe, die ein neues Strukturkonzept entwickelt hat, damit die Werkgemeinschaft überleben konnte. Danach war er ständiges Mitglied des Führungskreises und war vor allem in juristischen Fragen ein wichtiger Ansprechpartner für die jeweiligen Vorstände.

Neben all diesen Funktionen war Wolfgang Puwalla, der seinen Doktortitel nie hochhielt, ein besonderer Mensch: Seine Offenheit und Unkompliziertheit, seine Freundlichkeit und Zugewandtheit, sein Humor und seine Gastfreundschaft machten ihn zu einem überall beliebten Menschen. Die Dunkelheiten seines Lebens hielt er lieber im Verborgenen.

Manchmal war der Durst nach dem Überfluss vielleicht größer als die Welt bzw. andere Menschen ihm geben konnten. Andererseits hat er viele – auch mich – angesteckt mit seiner Suche nach den Fundorten des „goldenen Überflusses“. Dafür: Danke, lieber Wolfgang!

Die Verse aus Kellers Gedicht kommen mir wie sein Vermächtnis vor:

Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluß der Welt!


Hubert Pfeil